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Oregon
Am Interstate 101, mittlerweile nur noch eine breite, kurvenreiche Straße, erreichen wir schließlich den letzten noch unbetretenen Bundesstaat unserer Reise, nämlich Oregon. Nach Brookings wird es auch unmittelbar an der Küste immer sonniger. Damit sieht die Landschaft wieder ganz anders aus. Es herrscht nach wie vor Steilküste mit teilweise goldgelben Hügeln, teilweise dichtem Wald bis an die Klippen. Aus dem Meer ragen immer wieder größere und kleinere, teils spektakuläre Felsinseln heraus.
Nördlich des Humburg Mountains wird es schließlich wolkenlos. Bei Port Orford fahren wir daher wieder zum Strand, wo wir die meterhohe Brandung nun auch bei tiefstehender Sonne bewundern können. Zum Baden lockt die Temperatur deswegen aber immer noch nicht einmal annähernd. Hier herrschen wieder dicht bewaldete Hügel vor, wobei die Bäume oft bis auf die letzten Klippen hinauswachsen.
Am Cape Blanco haben wir in unserer miserablen Karte einen Campground verzeichnet und nicht allzuweit davon entfernt, vor Bandon finden wir tatsächlich einen. Der Besitzer, sowie die anderen Gäste kommen uns dort zwar recht bedenklich vor, sie könnten allesamt aus einem schrägen Gangsterfilm stammen, doch unsere Müdigkeit und der Mangel an Alternativen siegen vor Zweifel. Wir nutzen sogar die Duschmöglichkeiten. Unser Zelt steht zwar auf dem weichen Waldboden inmitten ziemlich dichter Vegetation, aber die Nähe zum Meer lässt sich diese Nacht nicht leugnen. In der Ferne hört man ständig das Geräusch der starken Brandung und beim Liegen am Boden bildet sich Christian ein, diese sogar zu spüren. Immerhin ist dies die einzige Nacht, die wir in unmittelbarer Nähe von der Küste verbringen.
Samstag, 27. Juli 1996
Face Rock in Bandon
In der Früh ist es wieder recht frisch. Solange die zwielichtigen Gestalten rund um uns noch schlafen, machen wir uns aus dem Staub. Wir fahren zunächst noch die Seitenstraße weiter zum Strand, weil es uns interessiert, wie weit diese so gut hörbare Brandung nun wirklich weg ist. Dort treffen wir zufällig auf ein Schild mit der Aufschrift “Face Rock”. In der Tat kugeln vor der Küste einige bizarre große Felsen herum. So auch einer, der wie ein leicht nach oben schauender Kinderkopf ausschaut. Der Fels ist an sich schwarz, aber die verschiedensten Vögel haben den Felsen derartig subtil beschissen, dass schöne weiße, ziemlich realistische Gesichtszüge herausgearbeitet wurden. Die Nebelstimmung ist heute besonders interessant. Während sich über uns wieder der übliche Hochnebel gebildet hat, ist es ein kurzes Stück vor dem Strand schön und ganz draußen bauen sich richtige sanfte Nebelhügel über dem Meer auf, die von der Sonne rosa angehaucht werden. Uns fröstelt es aber schon wieder, also nichts wie weiter Richtung Seattle.
OR 101 N: Newport
Oregons Küste scheint einfach aus einigen kleinen Ortschaften zu bestehen, keine hat einen irgendwie herausragenden Charakter, was die Gegend aber recht nett, und nicht wirklich amerikanisch macht. Nach Coos Bay, einer etwas größeren Holzindustriestadt, endet die Steilküste und geht langsam in eine flache Landschaft mit weitläufigen Stränden und sehr viel Sand über. Nun stehen in den Orten oft nur ein paar Holzhäuser in der Landschaft, mit Blick auf den Strand.
Oregon Dunes NRA
Nach etwa 64km Fahrt erreichen wir eine grüne Landschaft mit vielen Seen. Auf der Seite zur Küste hin leuchten allerdings Sanddünen gewaltigen Ausmaßes. Wir wollen uns gerne die Sanddünen aus der Nähe anschauen. Endlich führt eine Straße vom Interstate nach Westen, zu einem Campground. Dort stellen wir das Auto einfach am westlichsten Punkt in die Wiese und stapfen wild hinauf auf die Dünen, die stellenweise bis 150m hoch sind. Wir stapfen durch den feinen Sand einen Kamm nach dem anderen hinauf. Dabei wird uns ganz schön warm. Trotzdem gibt es schon einige Faktoren, die uns davon abhalten, dass wir uns in die Wüste versetzt fühlen könnten. Erstens der Hochnebel, der zwar die Sonne ein wenig durchscheinen lässt, aber doch den blauen Himmel verdeckt. Zweitens ist es nicht wirklich heiß, wir schwitzen ja schließlich unterm Pullover. Auch ist der Sand großteils relativ stabil, schon etwa 10cm unter der staubtrockenen Oberfläche ist es ziemlich feucht und der Sand somit verfestigt. Außerdem werden die meisten Dünenkämme zusätzlich durch künstlich gepflanzte Gräser an den Graten stabilisiert. Die Vegetation ist zwar eigenartig, aber wüstenartig ist sie sicher nicht.
Da wir vor haben, das Meer von den Dünen aus zu sehen, müssen wir ganz schön weit hinauf. Das Stapfen im Sand ist ganz schön anstrengend, aber auch lustig. Speziell das “Abfahren” über die steilen Dünen macht uns extrem viel Spaß. Witzig ist auch, dass rund um die Sanddünen dichter Wald wächst. Von einer der höchsten Dünen sehen wir dann auch tatsächlich das Meer, zwar ganz schön weit weg, aber immerhin. Die Nebelberge von der Früh sind auch jetzt noch erkennbar.
Obwohl diese Dünen angeblich gerne von “dune buggies” durchpflügt werden, haben es wir sehr ruhig auf unserem Aussichtspunkt. Wir stapfen zurück, schlagen uns wieder durchs Gebüsch zum Auto. Auf der Windschutzscheibe finden wir ein Zettelchen, wo uns jemand die eher unangenehme Mitteilung “See Ranger!” hinterlassen hat. Mit schlechtem Gewissen und die schlimmsten Vermutungen anstellend durchkämmen wir also den Campground und werden in einer der Sanitäranlagen fündig. Der Ranger meint, wir sollten uns das nächste Mal nicht ins Gras stellen, sondern doch gefälligst am Asphalt bleiben. Sonst hat er aber für uns aber gerade eh keine Zeit, also düsen wir wieder ab.
Bei Florence fahren wir noch einmal zum Strand, wo wir unsere Mittagsjause einnehmen. Hier ist der Nebel besonders dicht, aber die Sonne scheint trotzdem ein wenig durch. Christian möchte noch ein Fläschchen Wasser als Andenken mitnehmen. Also gehen wir auf den endlosen Strand hinaus, auf dem nur einzelne Muscheln herumliegen. Es gibt zwar Warnschilder, auf denen vor den besonders hohen Wellen hier gewarnt wird. Aber was soll’s. Wir hören das Wasser rauschen, also kann es nicht so weit entfernt sein. Mit der offenen Trinkflasche geht es am feuchten Sand hinaus. Da taucht plötzlich im Nebel vor uns die nächste Welle auf… also nichts wie zurück im Laufschritt. Dadurch, dass der Strand so flach ist, können die Wellen eine ganz schönen Schwung entwickeln. Mit Geduld dann doch etwas Wasser (mit viel Sand) gefasst, kann es weitergehen.
Sea Lion Caves
Nachdem wir den Siuslaw River überquert haben, kommen wir wieder an eine besonders wilde Steilküste. Etwa 30km weiter nördlich wollen wir noch die Sea Lion Caves besuchen. Schon vorher sehen wir von einem Aussichtspunkt über die steilen Hänge hinunter zu einem Felsvorsprung am Meer, auf dem einige hundert Seelöwen herumfaulenzen.
Bei den Sea Lion Caves ist ein ordentlicher Touristenrummel. Souvenierläden und großer Parkplatz lassen zumindest den Eindruck entstehen. Wir befinden uns etwa 120m über dem Meer auf steilen Klippen. Dort stellen wir uns auf einem aussichtsreichen Weg an und warten auf die Abfahrt mit dem Aufzug. Mit diesem gelangen wir dann in die größten vom Meer geschaffenen Grotten Amerikas. Unten ist es wirklich sehr eindrucksvoll. Von einer Höhle aus kann man in die riesige Halle der Grotte sehen, die zwei große Ausgänge zum Meer besitzt und wo das Wasser in gewaltigen Wellen hereinschwappt und auch der Nebel hereinzieht. Auf den Felsinseln in der Grotte liegen viele Seelöwen herum, manche von ihnen sind wirklich unglaublich riesig. Einige springen gerade ins Wasser, ein paar andere robben sich heraus. Dass hier massenweise Touristen hinuntergekarrt werden, scheint die Seelöwen nicht weiter zu stören. Fotografieren ist nur ohne Blitz erlaubt. Nach kurzem Aufenthalt geht es aber wieder hinauf.
Oben genießen wir noch einmal den Blick hinunter auf die gewaltige meterhohe Brandung an den Klippen, die durch eine Unmenge von Kormoranen und anderen Vögeln sehr dicht bevölkert und schon völlig weiß beschissen sind. Dementsprechend angenehm riecht hier auch die Luft wieder. Die Kormorane sind riesige Vögel, sie schwimmen wie die Enten in dem aufgepeitschten Wasser und fischen. Dann lassen sie sich von der bis zu 10m hohen Brandung einfach auf die Felsen werfen, wo sie mit ein paar Flügelschlägen auch landen.
OR 20 E: Albany, Portland
Weiter geht die Fahrt am Hwy nach Norden durch den Nebel, die Klippen links, den Wald rechts von der Straße, zum Cape Perpetua. Da dort wieder ein wenig mehr Sonne scheint, gehen wir zu einer Stelle, wo die Brandung auf einen erkalteten Lavastrom trifft. Zwischen den schwarzen Felsen haben sich verschiedenste Hohlräume und Löcher gebildet, wo das Wasser durchschießt und manchmal auch senkrecht nach oben geleitet wird. Bei diesen Pools spritzt es dann zeitweise ordentlich heraus. Wir klettern ein bisschen auf dem scharfkantigen schwarzen Felsgebilde herum, wo grüne und gelbe Algen in größeren Lacken einen schrägen Farbeffekt verursachen.
Leider ist die Zeit schon wieder sehr rasch fortgeschritten. Obwohl die Küste wirklich sehr schön und interessant ist, können wir nicht länger dort im Schneckentempo nordwärts fahren, denn bis Seattle, wo wir schon morgen sein müssen, ist es noch verdammt weit. Also fahren wir jetzt ohne weiteren Aufenthalt über Waldport nach Newport. Dann queren wir am Interstate 20 über einen großen Pass (etwa 900 m) die Coast Range und steuern die bestens ausgebaute Nord-Südverbindung, den Interstate 5 an. Damit lassen wir aber den Pazifik, den Nebel und den Redwood Forest endgültig hinter uns und kommen in dichter besiedeltes und kultiviertes Gebiet mit schönem Wetter und angenehm warmen Temperaturen.
Auf dem mehrspurigen Interstate Hwy geht es dann wirklich zügig weiter. Wir fahren in einem sehr breiten Tal gute 80km nordwärts. In der Ferne sieht man schon die teilweise schneebedeckten Vulkane. Dann erreichen wir Portland, eine relativ schöne Großstadt. Wir schauen uns ein wenig zu viel um, sodass wir die Umfahrung im Osten der Stadt versäumen. Aber auch durch die Stadt sind die Straßen sehr gut ausgebaut und es geht mindestens vierspurig und trotz des Abendverkehrs ganz schön zügig voran. Bei der Überquerung des Columbia Rivers (ein Stück Amerika, das wir schon öfter getroffen haben) wirkt die Skyline mit den Hochhäusern der Downtown, sowie die gewaltigen Brückenkonstruktionen rundum, in der Abendsonne besonders schön. Der Columbia River wird scheinbar bis Portland auch von Überseeschiffen befahren, sonst gäbe es keine Erklärung für diese riesigen Brücken.
IS 5 N: St. Helens
OR 503 E, OR 90 E: Mount St. Helens South-East
Mount St. Helens
Es ist zwar schon spät und morgen müssen wir in Seattle sein, aber ein interessanter Punkt wäre noch in der Karte verzeichnet: der Mount Saint Helens. In der Karte (immerhin hier wieder 1:1mio) sind in dem Gifford Pinchot National Forest einige Campgrounds, wie auch eine Straße hinter dem Berg herum (leider ohne Entfernungsangaben) eingezeichnet. Wir entschließen uns also, diese Nacht hinter dem Vulkan zu verbringen.
Wir verlassen beim Ort St. Helens den Interstate Hwy und fahren auf einer Nebenstraße in das Lewis River Valley. Dieses ist ebenfalls eine kultivierte Gegend mit vielen Ortschaften und zieht sich schon extrem lang. Erst nach guten 80km, als wir zu einem großen Stausee kommen, sehen wir auch die ersten Campgrounds. Wir fahren aber vorerst noch weiter, es geht hoch über einen zweiten, noch größeren Stausee hinauf, da endlich kommen wir zu einer Abzweigung zum “National Volcanic Monument, 11mi”. Bei dieser Abzweigung steht leider auch ein Schild, dass die Straße, die wir nachher um den Berg herum fahren wollen, gesperrt wäre. Aber darüber wollen wir uns erst später Gedanken machen. Jetzt geht es zunächst einmal steil und kurvenreich hinauf, Kleinigkeiten wie Lavahöhlen müssen wir dabei links liegen lassen. Zwischen den Bäumen sehen wir dann schon den mit vielen Schneeflecken bedeckten Gipfel der Mount St. Helens. Es ist aber noch ein ganz ordentliches Stück zu fahren und so kommen wir erst sehr spät zum Endpunkt der Straße, unmittelbar unterhalb des Berges.
Bis dahin sind wir ständig durch normales, bewaldetes Gebiet gefahren. Hier, wo der Parkplatz ist, stehen maximal ein paar kniehohe Bäumchen. Wir befinden uns auf einem gigantischen Schwemmfächer und schauen zu dem 2548 Meter hohen, geköpften Gipfel, hinter dem sich die Sonne bereits versteckt hat. Über dem zackigen Kamm stehen ein paar Dunstwölkchen und es riecht verdächtig nach Hölle. Wir schauen uns ein wenig die herumstehenden Tafeln an. Als im Mai 1980 die oberen 400 Meter bei einer gewaltigen Explosion (auf die andere Seite) weggesprengt wurden, hat es sich auch auf dieser Seite ganz schön abgespielt. Da der oben vorhandene Gletscher mehr oder weniger auf Anhieb geschmolzen ist, ist hier eine gewaltige Wasser-, Eis- und Steinlawine heruntergeschossen. Aufgrund der Form des Schwemmfächers, den dieses Ereignis mitten im Wald hinterlassen hat, kann man sich die tobenden Kräfte gut vorstellen.
Wir schauen uns noch einen Canyon an, den diese Flutwelle in weiterer Folge in das anstehende Gestein und unterschiedlich alte Lavaschichten geschnitten hat. Auch hier zeugen die Größe der im Flußbett herumliegenden runden Blöcke, wie auch der dazwischen eingebetteten riesigen Baumstämme von den Naturgewalten. In der Ferne leuchten die großen Gletscher des Mount Rainier im letzten Sonnenlicht wunderschön eingefärbt auf. Ja, heute haben wir einen gewaltigen Sprung nach Norden gemacht, es ist um diese späte Stunde hier noch hell. Das ändert nichts an der Tatsache, dass es schon ganz schön spät geworden ist und wir sind die letzten Leute hier weit und breit, also nichts wie zurück zum Auto.
Wir fahren also zur Abzweigung zurück, um weiter in Richtung Seattle rund um den Berg zu fahren. Das Hinweisschild, dass die Straße ein paar Meilen weiter gesperrt sein soll, interessiert uns nicht, wahrscheinlich handelt es sich sowieso nur um ein paar Steinchen auf der Straße. Etwa 8km weiter ist die Straße aber dann tatsächlich gesperrt, es dies ist mit Hilfe eines riesigen Sandhaufens auf der Straße auch eindeutig gekennzeichnet. Das kann uns alles noch nicht abschrecken, also schauen wir zu Fuß weiter, und siehe da, ein kurzes Stück weiter führt die Straße um eine Kurve, um dort abrupt zu enden. Da, wo sonst die Straße sein sollte, klafft eine etwa 60m tiefe und mindestens genauso breite Schlucht. Auf der anderen Seite geht die Straße weiter, aber diesmal bringt uns dieser Umstand wirklich nicht viel. Die gewaltigen zerschmetterten Baumstämme die hier auch herumliegen, sowie der Umstand, dass absolut keine Anzeichen einer ehemaligen Brücke vorhanden sind, lassen uns vermuten, dass hier einmal ziemlich viel Wasser aufgestaut worden ist und dann durch die Straße gebrochen ist. Es schaut allerdings nicht so aus, als wäre diese Lücke schon 1980 entstanden, sondern eher vor kürzerer Zeit.
Wie auch immer, wir sind zwar beeindruckt, aber es wird auch immer später. Wir fahren wieder hinunter zum Stausee und versuchen dort einen Waldweg als eventuelle Ausweichstrecke zu verwenden. Allerdings ist der Straßenzustand unserem Auto diesmal unbestritten unzumutbar. Na gut, also fahren wir talauswärts zu dem Campground, den wir früher gesehen haben. Dieser ist natürlich übervoll, also suchen wir nach sonst einem Platz zum Zelten. Es ist Samstag Abend, und anscheinend ist es in dieser Gegend üblich, dass sich die gesamte Bevölkerung von Portland und Umgebung am Wochenende in diesem Tal trifft. In jeder noch so entlegenen Seitenstraße stehen haufenweise Zelte. Als wir über eine Brücke fahren, sehen wir entlang vom Fluss überall Leute, Lagerfeuer und viel Betrieb. Da es mittlerweile auch vollständig finster geworden ist, geben wir die Suche auf und fahren nochmals meilenweit zurück ins Tal und auf den Hang hinauf zu der Stelle, wo die Straße endet. Wir denken, dass dort wahrscheinlich kaum jemand vorbeikommt.
Sehr einladend ist der Platz trotzdem nicht. Bei Mondschein inspizieren wir die Wiese links der Straße, über der sich eine Felswand erhebt. Wir müssten ein paar Seine zur Seite räumen. Doch irgend etwas hält uns doch davon ab. Wir nehmen doch die andere Straßenseite, leicht geneigt und mehr mit Splitt übersät, als mit Gras. Als wir dann nach dem Abendmahl endlich geschafft im Zelt liegen ist es wieder ganz still. Die letzte Nacht dieser Art. Doch diese Nacht gibt es einige unheimliche Geräusche, auf der anderen Straßenseite sausen immer wieder verschieden große Steinbrocken herunter. Ein Glück, dass wir dort das Zelt nicht aufgestellt haben. Auch sonst rührt sich alles mögliche in dieser Nacht. Bei der Gelegenheit fällt uns ein, dass wir uns ja wieder im Bärenland befinden. Doch später sind wir dann doch vom Schlaf überwältigt.
Sonntag, 28. Juli 1996
Zum Frühstück sitzen wir auf unserem aussichtsreichen Platz in der Morgensonne und genießen noch einmal diese herrliche Ruhe über dem Tal mit dem Wald und dem See. Wir wissen, dass es jetzt tatsächlich dem Ende zugeht. Doch wir fassen uns wieder, schmeißen nur mehr alles irgendwie ins Auto und düsen los: wir müssen so schnell wie möglich nach Seattle.
OR 503 W: St. Helens
IS 5 N: Seattle (WA)
WA 405 N: Seattle Mercer Island
IS 90 E: Lake Sammamish
Fahrt nach Seattle
Wir fahren die ganzen 320km ohne Pause durch nach Seattle. Es ist auch eine landschaftlich nicht besondere Strecke, außer dass wir nochmals schöne Blicke zum Mt. St. Helens und Mt. Rainier haben. Wir fahren gleich einmal zu dem Campingplatz, den wir schon zu Beginn unserer Tour ausgeforscht haben. Dieser ist zu unserem Entsetzen zwar offiziell wegen einer Veranstaltung geschlossen, doch als wir vor der verschlossenen Tür stehen, kommt die Besitzerin und lässt uns mit den Worten: “Hey guys, I know you!” hinein.
Es ist zwar noch vor Mittag, doch wir wissen, dass wir nicht viel Zeit zum Rasten haben. Zuerst bauen wir gleich einmal das Zelt auf. Dann kommt wohl das schwierigste Manöver: Wir räumen das Auto vollständig aus, zum ersten Mal seit vier Wochen. Was da alles zum Vorschein kommt! Naja, wir stehen zum Glück in der Nähe des Müllkontainers, alles was wir mitnehmen wollen, muss schließlich in unseren beiden Tramperrucksäcken untergebracht werden. Das Unternehmen dauert leicht zwei Stunden.
Da die Tankanzeige schon wieder tief unten steht, peilen wir als nächstes eine Tankstelle an. Bei der Gelegenheit kommen wir auf dem Hügel bei einem PizzaHut vorbei, wo wir uns eine ordentliche (gute, hauptsächlich aus Käse bestende, und ganz schön teure) Pizza leisten. Nach dieser kurzen angenehmen Rast fahren wir zu der großen Tankstelle beim Interstate 90 am Eastgate. Dort fahren wir zuerst einmal in die Self-Service Garage, wo wir mit dem Hochdruckreinniger die Außen- und besonders die Unterseite putzen. Wir hinterlassen einen großen Haufen rotbrauner Erde, wahrscheinlich noch vom Cottonwood Canyon stammend. Dann geht die Arbeit mit dem Staubsauger los. Die Reinigung des Inneren ist eine langwierige Angelegenheit, weil alles so verstaubt ist. Wir brauchen einige Dollar für die Staubsauger, viel Papier und Geduld.
Am fortgeschrittenen Nachmittag unterbrechen wir das Reinigungsmanöver und fahren in die Stadt zur King Street Station von Amtrak, um Zugkarten zu besorgen. Kurz unterliegen wir der Versuchung, die Klimaanlage einzuschalten, doch als uns in dem schön geputzten Cockpit der Staub um die Ohren fliegt, lassen wir ab sofort wieder die Fenster offen. Wir finden sogar einen Parkplatz relativ nahe der Station. Zu sehen ist diese allerdings nicht, da sie hier die Bahn in den Untergrund verbannt haben. Auf dem tollen Pacific Northwest Corridor von Seattle nach Vancouver gehen nicht nur alle 20 Minuten ein Flieger, insgesamt drei Busse pro Tag, nein es fährt auch ein einziger (!) Zug. Wir wollen aber unbedingt mit dem Zug fahren, auch wenn dieser schon um 07h45 in der Früh wegfährt. Außerdem hat diese Uhrzeit für uns zwei Vorteile: Erstens müssen wir das Auto vor der Öffnungszeit des Vermieters zurückgeben, sprich es kann uns keiner ausfragen woher die Kratzer am Dach und am hinteren Kotflügel stammen und wieso so viel Staub aus den Lüftungsgittern kommt, wenn der Ventilator bläst… Zweitens kommen wir noch Vormittag in Vancouver an und haben somit noch Zeit, ein wenig durch die Stadt zu bummeln. Also besorgen wir uns die Tickets, die auch eine Sitzplatzreservierung beinhalten. Wir werden also im Car 37, Seats 21 und 22 sitzen.
Anschliessend fahren wir zurück zur Tankstelle am Eastgate, wo wir mit dem letzten Klopapier noch Kleinigkeiten putzen und dann in die Waschstraße fahren. Dies funktioniert dort wirklich einfach, wir schmeißen unsere Münzen rein, fahren hinein bis das Auto einen großen Kontakt umlegt, parken dort, lassen das Auto putzen, föhnen etc. Dann leuchtet die Ampel grün auf, also wollen wir hinausfahren. Leider rutschen wir auf dem Kontakt aus. Daher wollen wir Anlauf nehmen und mit Schwung drüber. Zu seinem Pech hat zu diesem Zeitpunkt aber schon der Typ hinter uns bezahlt und als wir wieder auf den Kontakt fahren, fängt die Prozedur nochmals von vorne an! Tja, da hat uns also jemand ein zweites Mal Putzen spendiert. Danach geht’s aber mit einem Kavalierstart auf und davon…
Als wir wieder auf den Campingplatz einfahren, strahlt das Auto in vollem Glanz und innen ist es absolut ungewohnt leer… Wir essen noch unsere Restln und nutzen die Duschen aus, die aber immer noch nicht ganz einwandfrei funktionieren. Wir lassen uns von dem Festl, das in der Nacht am Campingplatz abgehalten wird, nicht stören sondern fallen erschöpft in unsere Schlafsäcke und schlafen zum letzten Mal für einige Zeit noch einmal recht gut.
Montag 29. Juli 1996
WA 90 W, IS 5 N: Seattle Center
Seattle
In der Morgendämmerung (ca. 04h30) läutet schon der Wecker. Wir frühstücken noch sehr ausgiebig (der Rest muss leider hier bleiben). Dann packen wir auch noch Zelt, Schlafsäcke und das restliche Zeugs taufrisch ein. Mit der Campingplatzleiterin haben wir ausgemacht, dass wir so früh schon hinauskönnen, mit der Autovermietung, dass wir den Wagen einfach hinstellen können. Es ist viel weniger Verkehr als erwartet. Ein letztes Mal fahren wir über die Floating Bridge und die gigantische Highwaykreuzung in die Stadt. Zuerst suchen wir eine offene Tankstelle, dazu kurven wir ganz schön herum, aber dann gibt es doch eine, wo wir das Auto nochmals volltanken. Dann stellen wir unseren guten Geo (WA 441 GIZ) mit genau 5899mi (9492km) mehr am Tacho still und leise zur Vermietungsstation und werfen den Schlüssel beim Postkastl hinein.
Jetzt stehen wir also erstmals wieder mit dm ganzen Gepäck am Buckl da. Unser Plan sieht zwar vor, dass wir jetzt mit der “Metro” in Richtung Bahnhof fahren müssen, aber so wirklich auseinandergesetzt haben wir uns damit noch nicht. Anhand einer sehr groben Karte bestimmen wir, wo ungefähr die Einstiegstelle sein müsste, doch diese sind wie so manche Wiener U-Bahn-Abgänge sehr gut versteckt. Nachdem wir einige Leute gefragt haben, wo’s zur Metro geht, und viele es nicht wissen, finden wir doch selbstständig einen Zugang. Wir gehen also in so ein Loch hinunter, lösen Karten und stehen in dem Tunnel wo die “Metro” fahren sollte. Zu unserer Verwunderung gibt es hier allerdings keine Schienen. Kurz darauf kommt auch schon der O-Bus daher. Später erfahren wir, dass das ganze als U-Bahn-System geplant war, aber nie durchgezogen wurde. Als der Bus den Tunnel verlässt, schaltet er auch wieder auf Benzinbetrieb um.
Den Bahnhof finden wir nur, weil wir schon am Vortag dort waren. Wenn man hier öffentlich unterwegs ist, kann man sich wirklich die Kugel geben. Und dann noch mit unserem Mörder Gepäck. Die Erwartung, mit einem typisch amerikanischen Zug zu fahren, wird gleich einmal zerschmettert. Stolz wird verkündet, dass wir mit einem europäischem “Spitzenzug” unterwegs sind, dem spanischen Talgo nämlich. Zuerst müssen wir uns lange bei der Zollkontrolle anstellen. Hier ist es aber doch etwas unkomplizierter, als beim Bus.
Zugfahrt Seattle – Vancouver
Wir haben noch ein wenig Zeit, wegen dem Gepäck können wir aber nicht recht viel herumrennen. Wir schauen uns ein wenig am Bahnhof um und den Zug etwas genauer an. Er hat witzigerweise eine ganz normale Amtrak Lok vorne dran, die mit ihrer gewaltigen Größe und Form überhaupt nicht zum Talgo passt. Dann geht es in den Zug. Die Fenster sind sehr stark abgedunkelt. Sie spielen “Up Close and Personal” mit Robert Redford. Interessanter Weise werden nicht nur Stationen angesagt, sondern auch interessante Aussichten. Die Strecke verläuft meist entlang der Küste und ist weitaus interessanter, als die Busfahrt im Landesinneren. Besonders schön ist die morgendliche Stimmung am Puget Sound, wo gerade Reiher beim Fischen sind. Der Zug bringt es nicht recht viel über 110km/h und wegen den komfortablen Waggons kommt einem die Fahrt besonders langsam vor.
Es gibt auch ein paar Stationen und im Nu sind wir schon in Canada. Bis wir allerdings den Bahnhof in Vancouver erreicht haben, fahren wir noch ein ganz schönes Stück ins Fraser Valley. Die Überquerung des Flusses mit seinen großen Brücken und mit den vielen Holzfloßen drauf ist wieder sehr eindrucksvoll und dann schleicht der Zug noch sehr lange durch die Stadt zurück zur Main Station. Trotz der langsamen Einfahrt kommen wir sogar zu früh an und so haben wir noch den halben Tag für Vancouver.
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