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Mittwoch, 17. Juli 1996
Toroweap CG
Es soll dies der einzige Tag auf unserem ganzen Amerika-Trip werden, an dem wir das Auto nicht anwerfen. Das ist wahrscheinlich auch das Zeichen dafür, dass es für uns der eindrucksvollste Tag werden wird. Nicht so, dass er alles andere in den Schatten stellen würde, aber die schlichte Wanderung am Plateau-Rand hat es in sich. Der Canyon ist 446km lang, bis 29km breit und bis zu 1600m tief. Der Colorado River unten ist ca. 90m breit und hat im Abschnitt des Canyons ein Gefälle von 670m, mit 160 Stromschnellen. Die größte davon ist von hier aus zu sehen. Jährlich kommen ca. 4 Millionen Besucher zum Canyon. Wir sind aber nur zu zweit hier und genießen es!
André steht sehr zeitig auf und macht Fotos in der Morgensonne. Christian folgt erst ein wenig später aus dem Zelt in die Sonne. Es ist ein herrlicher Tag. Zum Frühstück gibt es wieder mal alles, was das Herz begehrt, wir waren ja groß einkaufen. Wir sehen und hören zwar keine Menschenseele, dennoch bekommen wir frechen Besuch. Es schaut aus wie ein Squirrel, ist nur viel größer und will unbedingt etwas von unseren Spezialitäten haben. Dafür nimmt es gerne in Kauf, dass es dabei vor unseren verdatterten Augen über den Müsli-Teller am Tisch und von dort in das Einkaufssackerl auf der Bank hüpfen muss. Laut einer Abbildung in einem Prospekt könnte es sich um einen Utah-Hund handeln, obwohl wir in Arizona sind.
Dass wir den Tag hier verbringen werden, ist einmal klar. Nur was wir damit anfangen sollen ist noch nicht ganz so geklärt. Grundsätzlich wäre es möglich, zum Grund des Canyons abzusteigen, jedoch ohne genaue Angaben bzw. Karte über einen Lavastrom. Zu der Lava ist zu sagen, dass sie hier eine Zeit lang den Colorado River aufgestaut hat und sich aus diesem Grund auch heute noch die größten Stomschnellen (Lava Falls) hier befinden. An den anderen Stellen geht es steil bergab (Senkrecht mit einigen “flacheren” Steilstufen). Die Vision in der brütenden Mittagshitze über das schwarze Lavagestein wieder aufsteigen zu müssen begeistert uns beide nicht. Am Plateau nach Westen erstreckt sich das Lavafeld, bleibt also nur mehr noch der Osten übrig. Dort macht der Canyon außerdem eine Kurve und die Entfernungen scheinen eher abschätzbar zu sein. In diese Richtung setzen wir uns dann auch in Bewegung. Zuvor gehen wir aber noch ein Stück nach Westen zur Lava Falls Rapid view. Dort gibt es eine Fotosession mit halsbrecherischen Posen am Canyon-Rand.
Wir schauen auch per Gucker ein paar Paddlern zu, wie sie durch die gigantischen Stromschnellen durchwollen. Die meisten tragen ihre Boote ja außen herum. Einen hat es aber erwischt und er taucht mehrmals wieder oberhalb der ersten großen Welle auf. Wir denken ja nicht, dass es ihm Spaß gemacht hat, aber wer weiß?
Plateau-Wanderung um den Saddle Horse Canyon
Als es wärmer wird, wandern wir eigentlich ganz einfach den Plateaurand entlang flußaufwärts und erfreuen uns so unterschiedlicher Dinge wie die grandiosen Einblicke in die Tiefe und Kleinigkeiten wie Käferspuren im Sand. Auch wird jede Pflanze genauestens untersucht und Verwitterungsformen gedeutet. Das Ganze ohne irgendeinen Stress, was auch alleine wegen der Hitze ganz gut war.
Der Rand ist natürlich ausgefranst, man kann also dort nicht immer gehen. Außerdem ist auch das verhältnismäßig gefährlich. Dort wo die Kante scharf ist, geht es locker 400 Meter bis zum ersten Vorsprung, an dem man liegen bleiben könnte. An anderen Stellen liegen etwa LKW- bis hausgroße Blöcke herum, die so ausschauen, als würden sie jederzeit hinunterpurzeln. Dass das nicht so schnell passiert haben wir beide einmal im Studium mitbekommen, aber in Anbetracht der Tiefe, um die sich das purzeln handeln würde, wollen wir uns auf keine Experimente einlassen, außerdem ist es einfach anstrengend immer am Rand zu bleiben.
Weiter hinten verläuft eine Piste (Tuckup-Road), die fällt aber auch nicht bewußt ins Auge. Sonst scheint alles unangetastet, keine Dose, kein auch noch so kleinen Papierl. Um so mehr fällt dann eine alte Viehtränke ins Auge. Trotz der paar Cattle Guards (Vieh-Gitter auf den Straßen) haben wir nie Vieh zu Gesicht bekommen. Hier am Canyon-Rand erscheint es noch bedenklicher. Um die Frage zu klären, wo denn hierzu überhaupt das Wasser hergekommen sein mag, folgen wir einem Rohr. Dieses führt nicht irgendwo hinauf sondern über den Rand hinunter in den trockenen Saddle Horse Canyon (Seitencanyon des Grand Canyon). Das Rohr führt aber auch nicht bis ganz hinunter. Nach ein paar Minuten erreichen wir eine kleine Oase mitten im Abbruch. Ein Teich, zur Hälfte im Felsen als Höhle und zur andern Hälfte auf einer kleinen Verebnung in der Wand. Hier wächst neben den Kakteen Schilf und Wein. Das Ganze liegt beschattet von einem darüberliegenden Felsvorsprung an einem Ost-Hang. Bedenklich ist nur eines: Es ist dies die einzige Wasserstelle, die wir weit und breit zu Gesicht bekommen haben (wenn man vom Colorado River 1000 Meter tiefer absieht), dennoch gibt es absolut keine Tierspuren hier, nicht einmal Insekten. Das Wasser ist nicht ganz so kalt, wie eine Quelle in den Alpen, aber alles andere als überhitzt. Es ist glasklar und scheint in Ordnung zu sein. Wir lassen uns auf nichts ein und kosten es besser nicht.
Da hier herunten eindeutig Sackgasse herrscht, kehren zurück hinauf auf das Plateau. In kleinen Felswannen treffen wir auf Wasser ganz anderer Art: umgekippt und kunterbunt je nach Algen- oder Bakterienstand. Nun können wir uns denken, warum das nur wenig weiter unten anzutreffende Wasser höchstwahrscheinlich ungenießbar ist: Es reichen sicher nur ein paar Tropfen dieser bedenklichen und durch die Tageshitze auch noch gekochten Eintöpfe, um die gesamte Quelle unten zu verseuchen.
Wir spazieren weiter in Richtung eines größeren Seitencanyons. Nachmittags werden die Flüssigkeitsreserven schon knapper, und diese sollten schließlich auch noch für den Rückweg reichen. André nippt schon länger an der zweiten Flasche von den zwei Litern, außerdem ist er einfach müde. Daher legt er eine Pause ein. Wir machen uns einen Treffpunkt aus und Christian geht auf der Tuckup Road noch ein Stück weiter, bis der Einblick in die nächste Kurve des Canyons gegeben ist. Dort klettert er wieder hinaus bis zum Rand des Canyons und rastet bei den Tiefblicken von diesem Punkt aus. Mittlerweile ist es nämlich wirklich wieder ziemlich heiß geworden.
André erntet derweil noch einen Kaktus, den er nach Europa exportieren wird. Er besteht fast ausschließlich aus Stacheln. Er wird das österreichische Klima leider nur ein Jahr lang aushalten. Aber wegen seiner vielen Stacheln wird man ihm noch Jahre später den vertrockneten Zustand überhaupt nicht anmerken. Dann legt sich André auf ein Nickerchen unter einen Felsvorsprung, so dass ihn die Sonne nach einiger Zeit wieder aufweckt. Als er wieder munter wird, ist es schon kühler. Er hat keine Uhr dabei soll jetzt eigentlich hier auf Christian warten. Es juckt ihn aber weiterzuschauen, also ritzt er an einer von der Sonne schwarzgebrannten Felspartie die Höhe des Schattens ein, mit genauen Textausführungen.
Als es dann später und kühler wird, kehren beide um und Christian kommt zum Treffpunkt, wo allerdings schon längst kein Schatten mehr vorhanden ist, weil die Sonnenstrahlen schon mehr horizontal als von oben daherkommen. Trotzdem kann er sich mit Hilfe der Nachricht etwas reimen. Auch André ist verwundert, als er am Rückweg von der anderen Seite des Seitencanyons auf die Stelle seines Mittagsschläfchens zurückblickt. Er lag nicht nur unter einem Felsvorsprung, sondern selbst wieder auf anderen Felsvorsprung.
Wir treffen beide erst wieder beim Zelt zusammen. André macht noch unabsichtlich einen Umweg und kommt über den anderen Campground herunter zum Zelt. Er ist dann schon ganz schön geschlaucht. Naja, die Fußsohlen spüren wir beide immerhin ziemlich heftig. Christian sitzt in der Abendsonne und verfasst seine “letzten” Ansichtskarten. Nach dem Abendessen genießen wir noch die Einfärbung des Canyons durch die untergehende Sonne. Lange liegen wir noch auf dem aufgeheizten Stein und genießen die Tiefblicke, ja wir richten sogar einige Leute aus, die mit ihrem riesenhaften Boot an einem kleinen Schwemmkegel angelegt haben, dort Feuer machen und ihre Schlafplätze herrichten. Wir kommen uns vor, wie die Adler und beobachten sie ganz diskret per Gucker von oben…
Als es finster ist macht Christian noch ein Foto von dem herrlichen Sternenhimmel, dann schlafen wir zufrieden ein. Morgen geht’s wieder in die Zivilisation, wahrscheinlich an den diesbezüglich verdorbensten Platz der Welt: Las Vegas.
Donnerstag 18. Juli 1996
Einen negativen Effekt hatte der gestrige Tag allerdings auch. Wir hatten zwar unsere heiklen Speisevorräte klug unter einem großen Felsen verstaut, wo unten ein Lüftchen durchzieht und der einzig große Baum in der Gegend seinen Schatten draufwirft. Trotzdem wurde es über Mittag anscheinend zu warm. Weder Milch noch Butter haben den Tag gut überstanden. Der frisch gekaufte, teure Swiss Cheese (Emmentaler) hätte es aber überleben können. Doch dieser war weg, samt Plastikverpackung – der ganze halbe Kilo! Obwohl die Kunststoffkiste mit Zusatzverschlüssen ausgerüstet ist. Ein Tier hat die Kiste geöffnet, und auch noch daran genagt, bis es Zugang hatte. Die verbliebenen Spuren und Haare lassen uns stark vermuten, dass es unser Utah-Hund war. Auch die Tatsache, dass das freche Tier am folgenden Morgen nicht zum Frühstück erscheint, bekräftigt diese Theorie. Wenn es den gesamten Brocken alleine verdrückt hat, ist es sicher daran zugrunde gegangen. Jedenfalls gibt es ein Frühstück ohne Milch und die Jause ohne Käse. Trübe Aussichten. Naja, dafür ist das Wetter wieder einmal unglaublich schön.
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