Thema: Auslandsjahr für Jugendliche.
Ein Jahr im Ausland für alle
Wir leben in einer Zeit mit Aufwind für Nationalismus, Fehlinformation und Kleinkariertheit. Das ist ein Rückwärtstrend, dessen Ursachen in den neu gewonnen Freiheiten gesucht werden können. Gab es früher die Obrigkeitshörige, so haben wir heute Wutbürger, beide habe keine Ahnung von der Welt “draussen”, beiden sind unfähig in einer globalisierten Welt Entscheidungen treffen. Das zieht sich durch bis hin zu Kleinigkeiten wie Einkaufen.
Ich bin selber im Ausland aufgewachsen (9 Jahre bis zur Matura), habe in Wien gelebt und bin nun in Tirol zu Hause. Reflexartig klopfe ich die meisten Leute, die ich treffe, darauf ab, ob sie eine gewisse Zeit im Ausland verbracht haben. Damit meine ich mindestens ein Jahr in einer Umgebung die zum Umstellen zwingt, aus österreichischer Perspektive betrachtet sind das mindestens 1000km Entfernung unter Auschluss Deutschlands und der Schweiz. Als politisch Interessierter hinterfrage ich auch direkt oder indirekt die politische Gesinnung meiner Gesprächspartner.
Dabei zeigt sich eine auffällige Korrelation: Leute die im Auslands waren (sei es als Kind, als Student oder beruflich) sind politisch durch die Bank “sauberer”. Sie können differenzieren, vergleichen, bringen neue Ideen ein und sind mehrheitlich unempfänglich für extreme Positionen.
Die meisten Leute, dessen Auslandsaufenthalte mir bekannt sind, haben unumwunden bestätigt 2016 für Alexander Van der Bellen gestimmt zu haben. Viele aber mit Bauchweh, viele die durchaus schon mal F gewählt hatten. Bohrt man ein wenig nach, so kommt heraus, dass der eine zwei Jahre auf Montage in Schweden war, die andere geschäftlich in China. Es wirkt also nachhaltig.
Vorteil für Kinder
Der oben geschilderte politische und soziale Grund für Auslandsjahre ist nirgends so einfach umzusetzen wie mit Schulkindern. Als Erwachsener tut man sich das dann doch nicht so schnell an. Das Gute vorab: die nachhaltige Wirkung eines Auslandsjahrs ist bei 15/16-jährigen ähnlich gut wie bei Erwachsenen später, vielleicht ist sie sogar besser.
Kinder wachsen im Ausland natürlich weiter, sie sind ein Jahr älter wenn sie zurückkommen. Aber sie sind wesentlich reifer. Auf der nicht sichtbaren Ebene haben sie ab dann mehrere Jahre Vorsprung. Das hilft vorerst beim Rückkehr in die ursprüngliche Schule nach einem Jahr. Das Kind musste sich schon einmal im Ausland an Unterschiede anpassen, auch bei der Rückkehr sind die Unterschiede oder dadurch fehlende Unterrichtsstoff schnell überbrückt.
Als Eltern kann man es auch nüchtern betrachten: man erspart sich ein Jahr Pubertät…
Dauer des Auslandsaufenthalts
Betrachtet man die Angebote der kommerziellen Anbieter von Austauschjahren für Schulkinder, so ist anscheinend alles zwischen einem Wochenende und einem Jahr möglich. Jedoch was ist sinnvoll?
Nur auf eine Sprache bezogen reichen auch zwei Wochen mit Intensivkursen in ebendieser Sprache. Das ist aber kein Schulbesuch, das ist kein Eintauchen in ein anderes Leben vor Ort. Es ist auch sprachlich nicht nachhaltig, weil schulischer Inhalt gelernt wird. Das Besprechen von Nachrichtenausschnitten, seien sie noch so authentisch, ersetzt in keiner Weise das Diskutieren am Markt, das Streiten um den Sitz im Bus oder auf Amtswegen. Sprache ist Leben, man lernt sie nur im natürlichen Umfeld sinnvoll und es braucht die nötige Dauer dazu, sich nicht wie im Urlaub “durchschummeln” zu können.
Ein halbes Jahr mag wie ein guter Kompromiss ausschauen. Aber das trügt. Das ist meist der Herbst, dann die Unterbrechung der Weihnachtsferien, noch ein paar Wochen und aus. Manchen reicht das nicht zum Ankommen und Auspacken. Das reicht nicht einmal um neue Hosen oder ein anderes Deo kaufen gehen zu müssen. Das halbe Jahr ist (jedenfalls in Österreich) auch problematisch, weil man dafür kein Zeugnis bekommt, die Schule zu Hause kann also Nachprüfungen verlangen, genauso wie es der Fall nach längeren Spitalsaufenthalten ist. Ein vollständiges Jahreszeugnis aus dem Ausland wird hingehen anerkannt.
Ein ganzes Jahr ist die optimale Zeit. Kinder denken auch in Schuljahren, besonders in diesem Alter. Natürlich ist das auch für Eltern lang, zudem meist ein Besuchsrecht vertraglich ausgeschlossen ist. Es dient jedoch vorrangig dem eigenen Kind, genauso wie schon der Kindergarten besser war als bis 6 auf Mamas Schoss zu hocken. Draussen lernt man mehr und besser, nimmt viel mehr mit ohne dass es aufwändiger ist.
Der Wink des Pragmatikers: ein Jahr ist auch preislich bei den organisierenden Anbietern am sinnvollsten.
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